Claudia Thorban, Fadenbild 1



     

Claudia Thorban „Spuren” – Installation in der Krypta in Unterregenbach, Mai bis Juli 2023

Die romanische Krypta in Unterregenbach ist ein besonderer Ort: Sicherlich gehörte sie zu einer Kirchenfamilie mit großer Basilika, die als Wallfahrtsort im Mittelalter eine große Bedeutung hatte. Davon sind nur noch Reste erhalten, vor allem die Krypta. Claudia Thorban realisiert in dieser einzigartigen Architektur eine temporäre Installation, mit der sie auf die besondere Aura, die den Raum durchdringt, künstlerisch antwortet.

Ihr konzeptueller Ausgangspunkt liegt in der jahrelangen Beschäftigung mit den universellen pflanzlichen Prozessen von Wachstum und Verfall, mit dem Zyklus von Absterben und Erneuerung. Sie ist sowohl interessiert an der äußeren Gestalt, an den Regungen eines sich entfaltenden Blattes, eines sich entrollenden Farnwedels, wie auch an der inneren Struktur der Pflanzen, fragt nach den Kräften, die dafür sorgen, dass Zellen sich so formieren, dass der ganze Organismus der Pflanze ihr spezifisches Aussehen erhält. Diese zugleich von persönlicher Begeisterung, wissenschaftlicher Annäherung und künstlerischer Reflexion getragene Aufmerksamkeit führt weiter in eine ästhetisch-philosophische Auseinandersetzung mit den komplexen Naturprozessen.

Dieses hohe Interesse am Werden der Pflanzen darf auch mit Sicherheit den Menschen des Mittelalters bescheinigt werden, die sich als Bauern, als Ärzte, als Naturwissenschaftler und besonders als Künstler mit Pflanzen und ihrem Nutzen und ihrer Bedeutung für uns Menschen auseinandergesetzt haben. Spuren von diesem alten Wissen hat Claudia Thorban in der großartigen Krypta von Unterregenbach gefunden: Die romanischen Kapitelle der Gewölbestützen weisen auffallende Verzierungen in Form von ornamentalem Blattwerk auf. Diese steinernen Verzierungen – die einzigen in dem strengen Raum - waren in ihrer Entstehungszeit nicht nur als künstlerischer Schmuck für die Krypta gedacht, vielmehr standen solche pflanzlichen Ornamente immer in einem christlich-symbolischen Zusammenhang mit der Gesamtanlage des Kirchenbaus.

Die stilisierten gezackten Blätter der Kapitelle haben ihr Naturvorbild in der hochwachsenden Akanthus-Pflanze. Dieser ausdauernden und widerstandsfähigen Pflanze wurden heilende Kräfte zugeschrieben, die als Darstellung in einer christlichen Kirchenkrypta auf die Unsterblichkeit der Seele verweisen.

So spielen Pflanzen und ihre Bedeutung in der mittelalterlichen Architektur eine wichtige Rolle und sind eingeflossen in Claudia Thorbans Idee einer künstlerischen Intervention gerade an diesem auratischen Ort. Auch eine Zeile des deutschen Schriftstellers Paulus Böhmer, der bis 2018 in Frankfurt gelebt hat, begleitet sie bei ihrem Installationsvorhaben: „ Für eine Fledermaus ist eine Motte niemals die Motte, eher eine Art Glitzergeräusch, Verlockung und Antwort in einem“. Nur Menschen halten eine Motte für eine Motte und setzen sie in einen von Menschen definierten Kontext, der mit der Motte selbst und ihrer Bedeutung im großen Spiel der Natur nicht viel zu tun hat. Es lohnt sich, die Natur mit etwas anderen Augen, aus einem anderen Blickwinkel wahrzunehmen, also mit einer künstlerischen Kontext-Verschiebung zu einer neuen Aufmerksamkeit für die Phänomene unserer Welt zu gelangen.

Mit dem poetischen Sprachbild von Paulus Böhmer, der vom „Glitzergeräusch einer Motte“ spricht, und natürlich mit ihren eigenen Gedanken im Kopf geht Claudia Thorban in die Natur und bringt von ihren Streifzügen, die nicht unbedingt in weite Ferne führen müssen, eine Fülle von Skizzen und Fotografien mit. Im Atelier werden sie in einem vielschrittigen Prozess bearbeitet; Claudia Thorban vergrößert, schneidet aus, nimmt Details weg oder hebt sie hervor; sie verändert Kontraste, achtet auf die Dynamik der Bewegungslinien von Stengeln oder Blattrippen, schaut auf ungewöhnliche Umrisslinien von Blättern, betont gezackte Ränder oder lässt kompakte Partien zuden Seiten hin ausfransen. Die Übertragung dieser verfremdeten floralen Artefakte auf die Acrylplatten erfolgt in einem speziellen, maschinellen Druckverfahren – vergleichbar den komplexen künstlerischen Druckverfahren analoger Graphikherstellung. So gestaltet sie ihre Tafeln wie Elemente eines großen Kaleidoskops und entwickelt aus ihrem Miteinander unterschiedliche, immer für den jeweiligen Ort eingerichtete Rauminstallationen, die je nach Anordnung der Teile mit der Architektur in Bezug treten und unterschiedliche Raumerfahrungen und Assoziationsmöglichkeiten anbieten.

Die Raum-Installationen, die Claudia Thorban zeigt, führen grundsätzlich weg von der Nachahmung einer beobachteten Realität und hin zu einem packenden Spiel aus sich überlagernden Bildformen, die als Bewegungslinien, als Verdichtungen, als Licht- und Schattenpartien, als farbige Konturen und Flächen auf großformatigen, teil durchsichtigen, teils eingefärbten Acrylglastafeln einen neuen Zusammenhang erfahren. Die Tafeln in der Krypta Unterregenbach platziert die Künstlerin auf dem Boden, lehnt sie an die Wände und an die Stützen der Krypta. Diese ungewohnte Präsentation wirkt wie improvisiert oder noch im Werden – doch diese Art des temporären und beweglichen Aufbaus ist Teil ihres künstlerischen Konzeptes. Für jeden Raum stellt Claudia Thorban jeweils vorbereitete Acrylplatten anders auf, verschiebt die Tafeln neben– und übereinander, platziert sie als einzelne Elemente oder schichtet sie, bis sie der Atmosphäre des Raums einerseits Nachdruck verleihen, andererseits ein spannungsvolles Gegenüber zur Architektur bilden. Die Beweglichkeit der Tafeln korrespondiert mit der Beweglichkeit im Denken und Wahrnehmen: Es geht um die Veränderung von Standpunkten im Sinne einer Kontext-Verschiebung von Natur zu Kunst, ohne die die Motte niemals als „Glitzergeräusch, als Verlockung und Antwort in einem“ erfahrbar würde.

Die potenzielle Beweglichkeit der Tafeln im Sakralraum von Unterregenbach bringt den statischen Charakter der 1000 Jahre alten und unverrückbaren Architektur zu Bewusstsein, denn der Gegensatz zwischen den schweren, fest gefügten Steinen der Krypta einerseits und der Leichtigkeit und Mobilität der schmalen Acrylgläsern mit ihren teils hochabstrakten, teils erkennbaren Pflanzenformen verändert die Wahrnehmung des Raums in besonderer Weise. Die Formen und Farben der überraschend an diesem Ort anzutreffenden Acryltafeln unterbrechen das fließende Raumkontinuum und geben einen neuen Rhythmus vor, der nicht dem Rhythmus der stützenden Säulen entspricht. So streifen je nach Lichteinfall farbige Linien über einzelne Wandpartien, treten schattig-diffuse Muster aus schwarzen Punkten in den Blick. Die Gegenwart der Bildtafeln unterstreichen zugleich die Dunkelheiten des Raumes oder lassen die vom Licht getroffenen Wandpartien besonders prominent hervortreten. An wieder einer anderen Stelle werden leicht zu übersehende Details der Mauern bemerkbar, etwa Feuchtigkeitsflecken gerade dort, wo Claudia Thorban eine Tafel angelehnt hat, deren farbige Einsprengsel scheinbar direkt in das willkürliche Muster der vom Wassereintrag angegriffenen Wand übergehen.

Claudia Thorbans konzeptuell geschärfte Raum-Installationen wirken wie Scharniere zwischen Raum und Bild, zwischen Transparenz und Dichte, zwischen statischer Architektur und dynamischer Farbigkeit, die sich sinnlich und spontan erfahren lassen. In ihnen sind Tod und Leben, Werden und Vergehen als eine wunderbare Spur angelegt, der zu folgen sich unbedingt lohnt.

Dr. Dorothee Höfert
2023






Röntgenbilder von Naturphänomenen

Subjektive Anmerkungen zu den Werken von Claudia Thorban.

Mit romantischer Naturverklärung haben Claudia Thorbans Arbeiten nichts gemein. Statt mit kitschigen Blumen-Stillleben oder mit Herbstlaub behängten Bäumen aufzuwarten, konfrontiert uns die Künstlerin mit großformatigen, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität oszillierenden, reduzierten, teils sogar minimalistischen Natur-Facetten, die den Charakter des Provisorischen, Skizzenhaften und Uneindeutigen ausstrahlen.

Auch wenn wir es hier mit verschiedenen Abstraktionsgraden zu tun haben, der Ausgangspunkt ist meistens der Farn mit all seinen Erscheinungsformen, Bewegungen und Bewohnern, teils aus- oder angeschnitten, auf dicke Acrylglasscheiben gedruckt und schließlich als Rauminstallation präsentiert.

Manche Betrachter mögen möglicherweise beim ersten, flüchtigen Blick vermuten, dass die Acrylglasplatten nur vorläufig an die Wand gelehnt sind. Mit ihrer scheinbar temporären, „spielerischen“ Erscheinung stehen Claudia Thorbans Exponate in einem reizvollen Kontrast zur eindeutigen Materialität ihrer architektonischen Umgebung. Aber: Die scheinbare Leichtigkeit der Präsentation ist hart erarbeitet. Vermeintlich spontane Setzungen, Überlagerungen, Dialoge und Spiegelungen werden stundenlang beim Aufbau erprobt, um schließlich, zumindest für den Moment, eingefroren zu werden. Nicht steuerbare Zufälle wie die wechselnden Lichtverhältnisse werden bewusst akzeptiert und miteinbezogen. Als visuelle und reale Stolpersteine mischen sich die Exponate in die internen Betriebsabläufe ein. Flächen erweisen sich als lichtdurchlässig. Klare und diffuse Linien, fest umrissene und ausgefranste Formen, reale und digitale Schatten verbinden sich auf und hinter den Glasscheiben.

Die Werke regen an (vielleicht auch auf) und beweisen, dass sich Zufall und Perfektion ideal ergänzen können. Alle Exponate sind Unikate. Manche der bedruckten Scheiben erinnern an überdimensionale Röntgenbilder von Naturphänomenen und an riesige Schnittmuster von göttlichen Plänen. Anschnitte und Ausschnitte sind genauso wichtig wie das übergeordnete Ganze. Die farblich reduzierten, sich vor Ort zum Gesamtkunstwerk ergänzenden Werke strahlen alle eine stille Poesie aus, die sich wohltuend von der Hektik der unmittelbaren Umgebung abhebt. Das Rascheln des (inzwischen beinahe ausgestorbenen) Kohlepapiers ist zwischen zwei Glasscheiben eingefroren und wird uns als ästhetische, an Millionen Jahre alte Höhlenzeichnungen erinnernde Objekte im Eisenrahmen präsentiert.

Vielleicht könnte man zusammenfassend sagen: Claudia Thorban erschafft mit ihren temporären Präsentationen Vanitas-Symbole, die uns an die Veränderungen allen Seins erinnern. Sie kreiert ästhetische Vexierspiele: Die Grenzen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, zwischen Fotografie, Malerei und Skulptur, zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen konkreten und undeutlichen Formen, zwischen Farbe und Nicht-Farbe, zwischen Zufall und bewusster Setzung, zwischen Fauna und Flora, zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, zwischen Realität und Digitalität verschwimmen bzw. werden unwichtig.

Was ich an allen Präsentationen von Claudia Thorban mag: Sie stellt Fragen. Wo beginnen und enden die Exponate? Gehören die sich in den Scheiben spiegelnden Reflexionen mit zum Werk? Brauchen die Werke uns als Dialogpartner um komplett zu sein? Und welche Rolle spielen die Wände hinter den Acrylglasscheiben? Welche Bedeutung haben die Schattenwürfe? Darf oder soll man die Konstellationen verändern? Diese Fragen müssen nicht beantwortet werden, sie dürfen als Stimuli quasi zwischen den Zeilen im Raum herumschweben.

Marko Schacher
Schacher – Raum für Kunst, Stuttgart
August 2021






Aronstab, Knabenkraut …

Die Natur ist das Thema des künstlerischen Schaffens Claudia Thorbans. In den letzten Jahren hat sie bevorzugt mit Bleistift auf weißgrundierten textilen Trägern Pflanzen gezeichnet. Die Formate der Bilder sprengen das, was traditionell unter Zeichnung verstanden wird, und auch die Motive – Pflanzen in ihrer Gesamtheit, von den Wurzeln bis zur Blüte, häufiger jedoch nur Pflanzendetails – sind riesenhaft.

Mikroskopisch vergrößerte Blattgerippe breiten sich auf der Bildfläche aus, Zellstrukturen und Blattnervaturen sind in Übergröße zu sehen, überdimensionale Farnwedel stoßen an das Bildformat und mächtig ragen Pflanzentriebe ins Bild. Kräftige zeichnerische Gesten, graue bis hin zu tiefschwarzen Strichen, weiche, verwischte Schraffierungen, feine Verästelungen gehen Kompositionen ein, in denen Hell und Dunkel, Dynamik und Ruhe, Sanftheit und Aggressivität nicht in einem endgültigen Zustand zu verharren scheinen, sondern auch nach Beendigung des künstlerischen Prozesses Bewegung suggerieren, die der sich ständig wandelnden Natur und die der suchenden Formgebung.

Claudia Thorbans Blick auf die Natur läßt dieser ihre Autonomie. Nicht die Unterwerfung und die menschliche Einwirkung auf die Natur interessieren die Künstlerin, sondern der Dialog mit ihr, der sich im Arbeitsprozeß vollzieht. Bei ihrer Arbeitsweise hält sich die Künstlerin in gewisser Weise an Paul Klees Forderung, der Naturgegenstand müsse analysiert, seziert und geteilt werden, um sich Einsicht in den Zusammenhang seines Wesens zu verschaffen. Folgerichtig zeichnen sich deshalb ihre großformatigen Leinwandbilder einerseits durch eine sachliche, fast botanische, die Morphologie der Pflanze ergründende Betrachtungsweise aus, wirken darüber hinaus jedoch geheimnisvoll in dem Sinne, daß die Pflanzendarstellungen Botschaften enthalten, die über die konkrete Erscheinung der Pflanze hinaus auf ein dahinterliegendes Prinzip verweisen. Leben und Tod als nicht unvereinbare Gegensätze zu sehen, ist eine aus der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Pflanzenwelt gewonnene Erkenntnis, die in Claudia Thorbans Bildersprache eingegangen ist. Sie ist fasziniert vom Austausch zwischen Lebendem und Absterbendem, diesem nie endenden Prozeß, in dem Energien sowohl eingesetzt wie wieder freigesetzt werden.

Für solche Vorstellungen, die universell zu sein scheinen, haben Menschen verschiedener Kulturen Chiffren, Zeichen und Bildsymbole geschaffen. Claudia Thorban hat ähnlich diesem Vorgang archetypische Zeichen, sie nennt sie Energiemuster, gefunden. Mit farbkräftigem Pinselstrich setzt sie Spiralen, Dreiecke, Sanduhrmotive und immer wieder in sich geschlossene schleifenartige Formen auf Acrylglastafeln, mit denen sie ihre mal fragilen graphischen Pflanzenbilder, mal dynamisch auf dem Kontrast von Hell und Dunkel aufgebauten Zeichnungen kontrastiert. Zeichnungen und Acrylglastafeln bilden zusammen Ensembles, deren einzelne Teile sich gegenseitig kommentieren und erläutern, sich visuell und inhaltlich ergänzen. Grundsätzlich sind die Bildgruppen auf Erweiterung angelegt für neugewonnene Informationen aus der Zwiesprache mit der Natur.

Claudia Thorban will das Sichtbare der Natur, einen Satz Paul Klees paraphrasierend, nicht wiedergeben, sondern Natur sichtbar machen. Dazu gehört auch, daß sie ihre Bildgruppen zu Installationen ausweitet, mit Fundstücken aller Art zwischen den Zeichnungen und den Acrylglastafeln, zwischen dem Natürlichen und Artifiziellen Assoziationsketten aufbaut. In ihren Ausstellungen, die immer als Raumganzes von ihr gedacht sind, überzeugt das souveräne Nebeneinander der unterschiedlichen Materialien und Bildsprachen.

Susanna Sackstetter






finden / fragen / suchen / berühren / erfinden / schauen / sich finden / begegnen / fühlen / hören / zusammenfügen / ein Teil / ein Ganzes / Fundstück

Ich finde damit ist alles gesagt. Okay, das Wort „Natur“ oder den Begriff „Garten“ könnte und sollte ich vielleicht noch erwähnen. Die sich zwischen scheinbarem Wiedererkennen und Neu-in-den-Exponaten-Verlieren abspielende Dramaturgie, die sich vor allem bei der ersten Begegnung mit den Rauminstallationen von Claudia Thorban entfaltet, ist mit den eben zitierten Verben aber ganz gut wiedergegeben. Besonders gut gefallen hat mir aber das Wort „Fundstück“. Eigentlich sind alle Exponate von Claudia Thorban im buchstäblichen Sinne „Fundstücke“. Wie aber bereits Paul Valéry wusste: „Finden ist nichts. Das Schwere ist, sich, das Gefundene anzuverwandeln.“ Gefunden hat Claudia Thorban Grashalme, Aaronstabgewächse, Farnblätter, Seerosen, das eine oder andere Insekt, Steine, Felszeichnungen und Porzellanfigürchen. Indem sie die Frottage, den Durchrieb auf Papier einer 2.700 Jahr alten Felsritzung aus Schweden mit Fragmenten von Kitsch- und Krusch-Fundstücken aus dem Hier und Jetzt (darunter das kaputt gegangene Fisch-Feuerzeug der Künstlerin herself) konfrontiert, hinterfragt sie unsere Aufmerksamkeits-Hierarchien und historischen Bewertungen. In ihrer zweckfreien Zusammenkunft erinnert mich die entstandene Collage an Comte de Lautréamonts berühmt gewordenen Satz „Schön wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“.

Durch die eigenwillige, surreale aber wie ich finde auch sehr poetische und narrative Kombination, werden die Figuren-Torsi zu Protagonisten in einem Sonnenlabyrinth. Weitere bereit liegende Figuren warten scheinbar auf ihren Einsatz, um von unseren Gedanken beseelt zu werden.

Ob die Formen und Flächen als mehr oder weniger bewusst gesetzte Originale präsentiert werden oder als vergrößerte fotografische Adaption, gedruckt auf Acrylglas oder als hoch vergrößerte Kopien auf ganz normalem Papier, macht für die Künstlerin keinen Unterschied. Zufällig und nebenbei entstandene Farbproben und Kopien von Fotografien und echten Pflanzenblättern werden gleichbehandelt wie künstlerisch auf Papier gesetzte Graphitstriche. Anschnitte und Ausschnitte sind genauso wichtig wie das übergeordnete Ganze. Wichtig ist allein das optische Erscheinungsbild, die Präsentation und Ausdehnung der Exponate im Raum, der Zauber, die Poesie, die durch die Zusammenfügung entsteht.

Die Präsentationen von Claudia Thorban beweisen, dass sich Zufall und Perfektion keinesfalls ausschließen müssen. Wenn ich richtig informiert bin, sind die großformatigen „Schlierenbilder“ auch durch einen Zufall entstanden. Beim Ausdrucken ihrer Farn-Fotografien hat nämlich der Drucker der Künstlerin gestreikt bzw. gekleckst und die grünen Farnblätter mit jedem weiteren Ausdruck immer mehr in ein Meer aus gelben und grünen Farbwellen verwandelt. Diese zufällig entstandenen Kompositionen fand Claudia Thorban dann besser als die eigentlichen Fotografien (oder zumindest genauso gut), hat sie abfotografiert, vergrößert und präsentiert sie uns nun als 180 mal 120 cm große Digital-Fotodrucke auf Acrylglas. Alles Unikate. Wie immer bei Claudia Thorban.

Wo das eine Exponat aufhört und das andere Exponat anfängt, ist oft unklar. Gehört die von hinten durchscheinende Wand mit zum Werk? Welche Bedeutung haben die Schattenwürfe? Darf oder soll man die Konstellationen verändern? Indem wir uns als Betrachter in den glänzenden Oberflächen der Acrylglasplatten spiegeln, werden wir selbstverständlicher Bestandteil der Raumcollagen. Wie ich finde ist es der Künstlerin ganz hervorragend gelungen, das ehrwürdige Hofratshaus in den Griff zu bekommen und in eine begehbare Rauminstallation zu verwandeln. Wobei es der Künstlerin dankenswerter Weise nicht darum geht, den Besucher mit einem Allover von Reizen einzuschüchtern.

Stattdessen strahlen die sich zum Gesamtkunstwerk ergänzenden Werke eine stille Poesie aus und stemmen sich so der uns alltäglich umgebenden und unsere Köpfe verstopfenden Bilderflut entgegen. Zwischen den Exponaten, vor den Exponaten, gibt es Raum zum Durchatmen, zum Genießen. Aber auch zum Nachdenken. Zum Beispiel über die Vergänglichkeit der Natur und unsere Versuche, sie aufzuhalten oder zumindest zu dokumentieren. Wenn Claudia Thorban eine aus blauen und grünen Kunststoffplatten und überdimensionalen Kopien von Seerosenblättern bestehende Raumskulptur „Herbarium“ nennt, kann und darf man durchaus grinsen. Die verwendeten „Cartonplast“-Platten (übrigens auch Fundstücke der Künstlerin) werden normalerweise als Zwischenlagen im Transport und bei der Lagerung von Flaschen verwendet. Hier werden die Platten zur scheinbaren Pressung und Konservierung der Natur verwendet. Allerdings sind aus den Natur-Blättern holzfreie Kopie-Blätter geworden. Entstanden ist ein Denk-Mal (mit der Betonung auf der ersten Silbe), das uns daran erinnert, wie unnatürlich die heutige Natur oft ist und uns zeigt, dass die Übergänge zwischen dem Natürlichen, Künstlichen und Künstlerischen oft fließend sind.

Mit dem Wort „Idylle“ kommt man bei Claudia Thorban nicht sehr weit. Mit romantischer Naturverklärung haben ihre Werke wenig gemeinsam. Eher mit einem „intellektuellen Blick auf die wirkliche Natur“ (wie das mein Kollege Günter Baumann mal benannt hat), mit einer Sezierung, mit einer geradezu wissenschaftlichen Experiment-Anordnung, als deren Resultat aber jede Menge Poesie und Sinnlichkeit entströmt.

Ganz nebenbei werden die Schubladen der Kunstgeschichte durcheinander gewirbelt. Weil die digitalen Fotoaufnahmen – meistens aus dem eigenen Garten der Künstlerin in Satteldorf – am Computer bearbeitet, zumeist extrem aufgehellt und kontrastverstärkt wurden, werden die Blätter und Gräser auf den Kopien zu abstrakten Flächen und mehr oder weniger filigranen Linien, die an Bleistift- und Kohlezeichnungen erinnern.

In meiner Koje auf der Art Karlsruhe, in der ich dieses Jahr zum sechsten Mal in Folge Claudia Thorbans Installationen als One-Artist-Show präsentiert habe, gibt es immer laute „Aaaaahs“ und „Ooooohs“ zu hören. Vor allem von jungen Kunstakademie- Studenten und -Studentinnen, die es super finden, dass Kunstwerke nicht an der Wand hängen müssen, sondern auch einfach auf den Boden liegen dürfen oder an die Wand gelehnt werden können.

Die scheinbare Leichtigkeit der Präsentation ist aber hart erarbeitet. Vermeintlich spontane Setzungen und Dialoge sind stundenlang erprobt worden, um schließlich, zumindest für den Moment, eingefroren worden. Aber: Nichts ist für immer. Alles kann im einen Moment so sein, und im nächsten Augenblick ganz anders. So erschafft Claudia Thorban mit ihren temporären Präsentationen Vanitassymbole, die uns an die Veränderungen allen Seins erinnern.

Die Grenzen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität zwischen Fotografie, Malerei und Skulptur, zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen konkreten und undeutlichen Formen, zwischen Farbe und Nicht-Farbe, zwischen Zufall und bewusster Setzung, zwischen Fauna und Flora, zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit verschwimmen bzw. werden unwichtig. Und wenn in diesen unseren Zeiten Grenzen nieder gerissen werden, ist das doch schon mal ein guter, hoffnungsvoller Ansatz.

Marko Schacher
Schacher – Raum für Kunst, Stuttgart
2017






Metamorphose – Thema und Gestaltungsprinzip

Claudia Thorbans mehrteilige Arbeiten sind aus ungleichartigen Elementen zusammengefügt. In visuelle Nachbarschaft werden Kreidezeichnungen auf hauchdünnem, seidenartigem Graphitpapier mit gespritzten Acrylglastafeln gebracht, sind abstrakte Formen neben naturalistisch abgebildete Motive gestellt, werden künstlerisch unbearbeitete Gegenstände in den Kunstkontext aufgenommen oder Kopien von Fotos in die Tableaubildung miteinbezogen.

Im Gesamtgefüge dominieren die großformatigen Acrylglastafeln. Der betrachtende Blick wird als erstes auf diese gelenkt. Dazu tragen das Material und die Formate das Ihre bei, doch letztlich ist es die flächenverspannende Dynamik der Formen auf dem durchsichtigen Material, die die Aufmerksamkeit fordert.

Bei der zehnteiligen Arbeit „Rosenkäfer” verläuft bei einer der Acrylglastafeln jeweils von der linken Tafelecke oben und unten ausgehend eine schwarze Fläche diagonal hin zur rechten Tafelkante. Zwischen diesen Flächen breitet sich eine gelbe, zu den Rändern hin ins Grüne changierende Fläche aus, als wolle sie das Schwarz verdrängen. Aus der unteren schwarzen Fläche, wie ein Trieb emportreibend, durchdringt eine nach oben sich pflanzenähnlich ausbreitende Form die dunklen und hellen Flächen. Die Form ist eine durch Aussparung beim Spritzvorgang entstandene Negativform. Die von einer weißen Wand abgestrahlte Helligkeit lässt die pflanzenartige Form wie vor den hellen und dunklen Flächen vorge lagert erscheinen. Das durchstrahlende Licht, sozusagen geliehenes Licht, gibt Helligkeit an das Gelb ab und umgekehrt. Eine explosionsartige Lichtsituation mit durchaus kosmischer Anmutung breitet sich aus. Energien werden von Dunkel zu Hell und in den Flächenbewegungen weitergegeben und durchpulsen die gesamte Bildfläche.

Claudia Thorbans bildnerisches Verfahren des additiven Nebeneinanders stellt die Frage nach den Beziehungen der ein zelnen Arbeiten untereinander. Diese ist offensichtlich assoziativer Art. Bildmotive, Formen, Linien, Farben, Materialien und Hell-Dunkel-Kontraste setzen Assoziationen frei, die sich in energetischen und transitorischen Vorstellungen treffen.

Jedes einzelne Element der mehrteiligen Arbeiten verweist auf das Gesamte, fungiert als pars pro toto. Mitte der 60er Jahre haben Arte Povera-Künstler begonnen, dem verwendeten Material selbst Bedeutung beizumessen. Materialeigenschaften sollten symbolisch verstanden werden. In diesen Zusammenhang gebracht entfaltet ein neben der Acrylglastafel mit seiner energiegeladenen Bildaussage platzierter Streifen künstlerisch unbearbeitetes Kupferblech in dem Bildtableau „Rosenkäfer" seine eigene Sprache. Kupfer meint hier Energie. Als derartigen Bedeutungsträger verwendete auch Beuys das Metall, das nach Silber unter den Schwermetallen der beste Strom- und Wärmeleiter ist.

Metallischer Glanz und Farbton des Kupfers wiederholen sich in der naturalistischen Darstellung eines Rosenkäfers auf einer zweiten Acrylglastafel der Bilderkomposition. Dem der Gesamtarbeit titelgebenden Käfer kommt eine Schlüssel position für das Verständnis der Arbeit zu, wenn nicht gar für die Arbeiten Claudia Thorbans generell. Der in seiner Entwicklung eine vollkommene Metamorphose durchlaufende Käfer steht für die ewige Verwandlung der Natur, für den Übergang zwischen Werden und Vergehen, der charakteristisch für alles Lebendige ist.

Das Thema Metamorphose erfährt in jedem Element der Gesamtarbeit eine Modifikation. Mit den sechs Kreidezeichnungen wird eine botanische Ikonographie eingeführt. Die weiß-grauen Kreidelinien und -flächen deuten Pflanzenstrukturen an, aber nie aufs Morphologische verengt. Die weichen Übergänge zwischen Linien und Flächen tendieren zur Auflösung, scheinen im Verwandlungsprozess, der ständig und immer wirksam ist.

Befremdlich muten zunächst in diesem Kontext DIN A4 schwarz-weiß Kopien von Fotografien an, die eine aufgeschnittene Blechdose aus verschiedenen Blickwinkeln zeigen. Fünfzehn dieser Abbildungen sind zu drei vertikalen Reihen geordnet, die in der Horizontale aneinander stoßen. Als Gesamteindruck vermittelt sich ein kontrastreiches, dynamisches Widerspiel von Schwarz und Weiß, das sich ständig aufs Neue formieren könnte.

Selbst unbelebte Gegenstände wie eine aufgeschnittene Dose, Abfall der der Entsorgung harrt, ist einem Umwandlungs prozess unterworfen, suggeriert das bewegte Formenspiel. Hier knüpft Claudia Thorban wohl am Gesetz der Energie erhaltung an, zwar nicht im streng schulphysikalischen Sinn, aber dass Energie ihre Erscheinungsform ändern kann, ohne dass Energiemenge verloren geht, dieses Prinzip scheint für sie voller Attraktion. Die inhaltliche Dimension ihrer Arbeiten, das Metamorphosethema in lebenszuversichtlicher Interpretation, findet auf der formalen Ebene im additiven Gestaltungsprinzip des Verknüpfens disparat erscheinender Elemente ihre Entsprechung.

Susanna Sackstetter


   
     
     
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