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Aronstab, Knabenkraut …
Die Natur ist das Thema des künstlerischen Schaffens Claudia Thorbans. In den letzten Jahren hat sie bevorzugt mit Bleistift auf weißgrundierten textilen Trägern Pflanzen gezeichnet. Die Formate der Bilder sprengen das, was traditionell unter Zeichnung verstanden wird, und auch die Motive – Pflanzen in ihrer Gesamtheit, von den Wurzeln bis zur Blüte, häufiger jedoch nur Pflanzendetails – sind riesenhaft.
Mikroskopisch vergrößerte Blattgerippe breiten sich auf der Bildfläche aus, Zellstrukturen und Blattnervaturen sind in Übergröße zu sehen, überdimensionale Farnwedel stoßen an das Bildformat und mächtig ragen Pflanzentriebe ins Bild. Kräftige zeichnerische Gesten, graue bis hin zu tiefschwarzen Strichen, weiche, verwischte Schraffierungen, feine Verästelungen gehen Kompositionen ein, in denen Hell und Dunkel, Dynamik und Ruhe, Sanftheit und Aggressivität nicht in einem endgültigen Zustand zu verharren scheinen, sondern auch nach Beendigung des künstlerischen Prozesses Bewegung suggerieren, die der sich ständig wandelnden Natur und die der suchenden Formgebung.
Claudia Thorbans Blick auf die Natur läßt dieser ihre Autonomie. Nicht die Unterwerfung und die menschliche Einwirkung auf die Natur interessieren die Künstlerin, sondern der Dialog mit ihr, der sich im Arbeitsprozeß vollzieht. Bei ihrer Arbeitsweise hält sich die Künstlerin in gewisser Weise an Paul Klees Forderung, der Naturgegenstand müsse analysiert, seziert und geteilt werden, um sich Einsicht in den Zusammenhang seines Wesens zu verschaffen. Folgerichtig zeichnen sich deshalb ihre großformatigen Leinwandbilder einerseits durch eine sachliche, fast botanische, die Morphologie der Pflanze ergründende Betrachtungsweise aus, wirken darüber hinaus jedoch geheimnisvoll in dem Sinne, daß die Pflanzendarstellungen Botschaften enthalten, die über die konkrete Erscheinung der Pflanze hinaus auf ein dahinterliegendes Prinzip verweisen. Leben und Tod als nicht unvereinbare Gegensätze zu sehen, ist eine aus der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Pflanzenwelt gewonnene Erkenntnis, die in Claudia Thorbans Bildersprache eingegangen ist. Sie ist fasziniert vom Austausch zwischen Lebendem und Absterbendem, diesem nie endenden Prozeß, in dem Energien sowohl eingesetzt wie wieder freigesetzt werden.
Für solche Vorstellungen, die universell zu sein scheinen, haben Menschen verschiedener Kulturen Chiffren, Zeichen und Bildsymbole geschaffen. Claudia Thorban hat ähnlich diesem Vorgang archetypische Zeichen, sie nennt sie Energiemuster, gefunden. Mit farbkräftigem Pinselstrich setzt sie Spiralen, Dreiecke, Sanduhrmotive und immer wieder in sich geschlossene schleifenartige Formen auf Acrylglastafeln, mit denen sie ihre mal fragilen graphischen Pflanzenbilder, mal dynamisch auf dem Kontrast von Hell und Dunkel aufgebauten Zeichnungen kontrastiert. Zeichnungen und Acrylglastafeln bilden zusammen Ensembles, deren einzelne Teile sich gegenseitig kommentieren und erläutern, sich visuell und inhaltlich ergänzen. Grundsätzlich sind die Bildgruppen auf Erweiterung angelegt für neugewonnene Informationen aus der Zwiesprache mit der Natur.
Claudia Thorban will das Sichtbare der Natur, einen Satz Paul Klees paraphrasierend, nicht wiedergeben, sondern Natur sichtbar machen. Dazu gehört auch, daß sie ihre Bildgruppen zu Installationen ausweitet, mit Fundstücken aller Art zwischen den Zeichnungen und den Acrylglastafeln, zwischen dem Natürlichen und Artifiziellen Assoziationsketten aufbaut. In ihren Ausstellungen, die immer als Raumganzes von ihr gedacht sind, überzeugt das souveräne Nebeneinander der unterschiedlichen Materialien und Bildsprachen.
Text Susanna Sackstetter
Metamorphose – Thema und Gestaltungsprinzip
Claudia Thorbans mehrteilige Arbeiten sind aus ungleichartigen Elementen zusammengefügt. In visuelle Nachbarschaft werden Kreidezeichnungen auf hauchdünnem, seidenartigem Graphitpapier mit gespritzten Acrylglastafeln gebracht, sind abstrakte Formen neben naturalistisch abgebildete Motive gestellt, werden künstlerisch unbearbeitete Gegenstände in den Kunstkontext aufgenommen oder Kopien von Fotos in die Tableaubildung miteinbezogen.
Im Gesamtgefüge dominieren die großformatigen Acrylglastafeln. Der betrachtende Blick wird als erstes auf diese gelenkt. Dazu tragen das Material und die Formate das Ihre bei, doch letztlich ist es die flächenverspannende Dynamik der Formen auf dem durchsichtigen Material, die die Aufmerksamkeit fordert.
Bei der zehnteiligen Arbeit „Rosenkäfer” verläuft bei einer der Acrylglastafeln jeweils von der linken Tafelecke oben und unten ausgehend eine schwarze Fläche diagonal hin zur rechten Tafelkante. Zwischen diesen Flächen breitet sich eine gelbe, zu den Rändern hin ins Grüne changierende Fläche aus, als wolle sie das Schwarz verdrängen. Aus der unteren schwarzen Fläche, wie ein Trieb emportreibend, durchdringt eine nach oben sich pflanzenähnlich ausbreitende Form die dunklen und hellen Flächen. Die Form ist eine durch Aussparung beim Spritzvorgang entstandene Negativform. Die von einer weißen Wand abgestrahlte Helligkeit lässt die pflanzenartige Form wie vor den hellen und dunklen Flächen vorge lagert erscheinen. Das durchstrahlende Licht, sozusagen geliehenes Licht, gibt Helligkeit an das Gelb ab und umgekehrt. Eine explosionsartige Lichtsituation mit durchaus kosmischer Anmutung breitet sich aus. Energien werden von Dunkel zu Hell und in den Flächenbewegungen weitergegeben und durchpulsen die gesamte Bildfläche.
Claudia Thorbans bildnerisches Verfahren des additiven Nebeneinanders stellt die Frage nach den Beziehungen der ein zelnen Arbeiten untereinander. Diese ist offensichtlich assoziativer Art. Bildmotive, Formen, Linien, Farben, Materialien und Hell-Dunkel-Kontraste setzen Assoziationen frei, die sich in energetischen und transitorischen Vorstellungen treffen.
Jedes einzelne Element der mehrteiligen Arbeiten verweist auf das Gesamte, fungiert als pars pro toto. Mitte der 60er Jahre haben Arte Povera-Künstler begonnen, dem verwendeten Material selbst Bedeutung beizumessen. Materialeigenschaften sollten symbolisch verstanden werden. In diesen Zusammenhang gebracht entfaltet ein neben der Acrylglastafel mit seiner energiegeladenen Bildaussage platzierter Streifen künstlerisch unbearbeitetes Kupferblech in dem Bildtableau „Rosenkäfer" seine eigene Sprache. Kupfer meint hier Energie. Als derartigen Bedeutungsträger verwendete auch Beuys das Metall, das nach Silber unter den Schwermetallen der beste Strom- und Wärmeleiter ist.
Metallischer Glanz und Farbton des Kupfers wiederholen sich in der naturalistischen Darstellung eines Rosenkäfers auf einer zweiten Acrylglastafel der Bilderkomposition. Dem der Gesamtarbeit titelgebenden Käfer kommt eine Schlüssel position für das Verständnis der Arbeit zu, wenn nicht gar für die Arbeiten Claudia Thorbans generell. Der in seiner Entwicklung eine vollkommene Metamorphose durchlaufende Käfer steht für die ewige Verwandlung der Natur, für den Übergang zwischen Werden und Vergehen, der charakteristisch für alles Lebendige ist.
Das Thema Metamorphose erfährt in jedem Element der Gesamtarbeit eine Modifikation. Mit den sechs Kreidezeichnungen wird eine botanische Ikonographie eingeführt. Die weiß-grauen Kreidelinien und -flächen deuten Pflanzenstrukturen an, aber nie aufs Morphologische verengt. Die weichen Übergänge zwischen Linien und Flächen tendieren zur Auflösung, scheinen im Verwandlungsprozess, der ständig und immer wirksam ist.
Befremdlich muten zunächst in diesem Kontext DIN A4 schwarz-weiß Kopien von Fotografien an, die eine aufgeschnittene Blechdose aus verschiedenen Blickwinkeln zeigen. Fünfzehn dieser Abbildungen sind zu drei vertikalen Reihen geordnet, die in der Horizontale aneinander stoßen. Als Gesamteindruck vermittelt sich ein kontrastreiches, dynamisches Widerspiel von Schwarz und Weiß, das sich ständig aufs Neue formieren könnte.
Selbst unbelebte Gegenstände wie eine aufgeschnittene Dose, Abfall der der Entsorgung harrt, ist einem Umwandlungs prozess unterworfen, suggeriert das bewegte Formenspiel. Hier knüpft Claudia Thorban wohl am Gesetz der Energie erhaltung an, zwar nicht im streng schulphysikalischen Sinn, aber dass Energie ihre Erscheinungsform ändern kann, ohne dass Energiemenge verloren geht, dieses Prinzip scheint für sie voller Attraktion. Die inhaltliche Dimension ihrer Arbeiten, das Metamorphosethema in lebenszuversichtlicher Interpretation, findet auf der formalen Ebene im additiven Gestaltungsprinzip des Verknüpfens disparat erscheinender Elemente ihre Entsprechung.
Text Susanna Sackstetter
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